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Stadtgeschichte > Aufsätze zur Geschichte Ibbenbürens > Ein
Mord in Ledde
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Gemeindevorsteher Heinrich Schulte - das war
sein spektakulärster Fall, der Mord an Hulda Domanski. Er hatte
am 6. April 1925 die Untersuchungskommission, die aus der hohen
Provinzialhauptstadt Münster eigens anreiste, zu empfangen und
zum Tatort zu führen. Er hatte als Leddes Gemeindevorsteher
dieser Kommission mit Rat und Tat zu Fragen der Umstände und
Örtlichkeiten zur Verfügung zu stehen, ganz Amtsperson und oberster
Repräsentant der Gemeinde. Oft und gern wird er später neben
seinen vielen, mit blühender Fantasie erzählten Jagdgeschichten
von diesem Fall berichten. Weit über Leddes Grenzen hinaus sorgte
dieser Mord für großes Aufsehen. Zu erinnern ist an Heinrich
Schulte zu Ledde, nach dem 1. Weltkrieg bis 1933 "Gemeindevorsteher"
von Ledde. Der Fall Domanski war irgendwie schon nach seinem
Geschmack. Nicht dass er Liebhaber speziell von Mord und Totschlag
gewesen wäre und auf so etwas nur gewartet hätte. Aber es gefiel
ihm sicherlich, als Amtsperson an Leddes spektakulärstem Kriminalfall
beteiligt zu sein. Zudem war Übersinnliches im Spiel, das mochte
er besonders. Das war mal etwas ganz anderes als die triste
Routine in den vielen Ratssitzungen.
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In diesen Sitzungen ging es in den 20er Jahren
vornehmlich und immer wieder um Probleme der Schulen, Lehrer
und Lehrerdienstwohnungen, um die Straße nach Leeden, um den
Bau des Gemeindehauses (d.h. um Wohnungen für Bedürftige), um
Hand-und Spanndienste, um Anträge auf Stundung der Gemeindesteuern,
um öffentliche Zuwendungen bei angeblichen oder tatsächlichen
Notfällen. In Ledde war zu jener Zeit in der Tat herzlich wenig
los, schon gar nichts Spektakuläres. Verwaltet wurde die Gemeinde
auch damals von Tecklenburg aus, dessen Verwaltungsinstanz seinerzeit
von Amtsdirektor Borgstette geleitet wurde.
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Heinrich Schulte zu Ledde stand in Tradition
und Pflicht des Schultenhofes, dessen Besitzer jeweils das Amt
des Dorfschulzen zu übernehmen oder sich darum zu bewerben hatten.
An den vier Steinkugeln auf dem markanten Hauptschornstein war
ein Schultenhof schon von weitem zu erkennen. Der Hofbesitzer
Schulte war nach dem frühen Tod einer Tochter ohne Erben und
verkaufte seinen Hof, und das gleich zweimal. Der erste Käufer
war ein Missgriff gewesen, so kaufte er den Hof zurück. Der
zweite Verkauf ging an Bauer Aschebrock aus Lengerich, dessen
Nachkommen noch bis heute die Hofstätte innehaben. Heinrich
Schultes Leidenschaft jedoch war die Jagd. Gespeist wurde sein
heißgeliebtes, fantasievolles Jägerlatein immer wieder von seiner
ausgeprägten, beachtlichen Lust am Fabulieren.
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Hulda Domansky hatte es infolge der Kriegswirren
aus dem fernen Russland nach Ledde verschlagen. Sie war "Magd"
beim Bauern Hollenberg in Danebrock. Im Alter von 25 Jahren
war sie am 19. Oktober 1924, einem Sonntag, mit einem
Revolver erschossen worden und danach fünfeinhalb Monate verschollen.
Die Suche nach ihr, an der zeitweise fast der ganze Ort teilnahm,
war lange Zeit vergebens. Und jetzt das von Heinrich Schulte
so geschätzte Übersinnliche: Ein Hellseher, genannt der "Holsen-Hinnerk"
(Holzschuhmacher Heinrich) wurde hinzugezogen und konnte tatsächlich
die Stelle, an der die Leiche versteckt war, bis auf wenige
Meter präzise angeben, ohne dass sie sofort gefunden wurde.
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Inschrift: Hier wurde Hulda Domansky am 19. Oktober
1924 ermordet |
Gedenkstein - Hulda Domansky
Foto - Werner Suer
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Die Lengericher Zeitung vom 7.4.1925 schreibt
dazu, leicht poetisierend und im Ton der Zeit: "Das Volk raunt
und dichtet, horcht an der Grenze des Übersinnlichen, denn des
Hellsehers Spürsinn führte damals sofort an eine Sumpfstelle,
die nur wenige Meter abseits liegt." Auf hartnäckiges Betreiben
einer befreundeten Nachbarin und unter tatkräftiger Mithilfe
der Söhne des "Kolon" Hollenberg wurde die Leiche schließlich
in einer Bodenvertiefung , einige hundert Meter östlich des
Gehöftes gefunden, nur 20 bis 25 cm unter Laub und Erde verscharrt.
"Im Zitter" hieß diese Örtlichkeit, die Bezeichnung ist heute
nur noch wenigen geläufig.
Die Lengericher Zeitung zum Tatort: "Am Rande einer Wiese fällt
das Gelände waldseits plötzlich steil ab zu einer Senke, durch
deren Grund ein Bächlein rinnt." Als Täter stand sofort der
Freund von Hulda Domanski unter Verdacht. Von ihm war sie schwanger
und ihn gedachte sie zu heiraten. Er besaß ganz in der Nähe
ein kleines landwirtschaftliches Anwesen und wird im Zeitungsbericht
mal als "Landwirt in der Nachbarschaft", ein anderes Mal als
"Gärtner J." bezeichnet. Er leugnet zunächst hartnäckig die
Tat, auch als er unmittelbar nach dem Fund an den Ort des Verbrechens
geführt wird. Zunächst muss er im Tecklenburger Gefängnis einsitzen.
In Münster wird ihm der Prozess gemacht, er wird verurteilt,
verbüßt eine Strafe von acht Jahren und kommt danach wieder
auf freien Fuß. In Ledde wird er nur noch einmal gesichtet,
dann verschwindet der Landwirt und Gärtner J. auf Nimmerwiedersehen.
Heinrich Schulte zu Ledde blieb, 1924 einstimmig wiedergewählt,
im Amt des Gemeindevorstehers bis zum 31.3.1933, also bis kurz
nach der "Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten. Sein
Nachfolger wurde - ebenfalls noch in der Tradition des käuflich
erworbenen Schultenhofes - August Aschebrock. Das Amt hieß in
dieser Zeit nun "Dorfschulze", nach dem 2.Weltkrieg wird es
dann wieder mal umbenannt, diesmal in "Bürgermeister-Amt". Nach
dem Ledder Schultenhof ist die heutige Schultenstraße in der
Sundern-Siedlung am Waldrand des Sundern benannt.
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© Luftbild - Vermessungs- und Katasteramt Kreis
Steinfurt |
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Eine Bemerkung dazu
Ein herzlicher Dank geht an Wolfgang Berghoff, den Leiter des
Lengericher Stadtarchivs, aus dessen Tiefen der im Text erwähnte
Zeitungsartikel ausgegraben wurde.
Für alle Pfadfinder, Geo-Cacher, leidenschaftlichen Wanderer
und alle, die sich gerne mit Tatorten und Heimatkunde beschäftigen,
ist eine "Wegweiser-Karte" zum Ort des Geschehens dargestellt.
Dieser Wegweiser führt zur Sumpfstelle, wo man den Stein findet,
welcher nun ewig an den spektakulärsten Kriminalfall in Ledde
erinnern wird.
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Bild oben, Ibbenbüren - Oberer Markt
um 1930 - Sammlung Suer (Merseburger)
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© Förderverein Stadtmuseum Ibbenbüren
e. V.
Breite Straße 9 - 49477 Ibbenbüren
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