Geschichte der Honigfabrik
Von Werner Suer
Von Werner Suer
Die Unternehmerfamilie Wolff
Der König von Ibbenbüren
Ein fast vergessenes Wirtschaftskapitel in Ibbenbüren ist die Zeit der Unternehmerfamilie Wolff. Um 1850 entstand aus ganz kleinen Anfängen auf dem Dickenberg ein bedeutendes Wirtschaftsimperium, welches um die Jahrhundertwende bereits wieder zusammengebrochen war. Um 1720 kam Johann Wilhelm Wolff als Bergmann aus dem thüringischen Schmalkalden und bereits 1750 hatte er als Königlicher Bedienter und Kohlenmesser auf der Zeche Dickenberg so viel Geld, das er den späteren Hof Brockmann bauen konnte.
Im gleichen Jahr kam sein Sohn Johann Heinrich zur Welt. Dann entstand auf dem Hof eine Ausspanne für Pferde und ein Wirtshaus für durstige Kehlen. Sein Sohn trat in seine Fußstapfen.
Friedrich Wolff und sein Bruder Heinrich, die Wölfe, legten um 1850 den Grundstein für mehrere Betriebe in Ibbenbüren mit später über 1000 Beschäftigten. Sie bauten eine Glashütte in Sichtweite der Werthmühle und nannten sie Glasfabrik, das klang fortschrittlicher. Sie bauten Häuser mit 52 Wohnungen für die dort beschäftigten Arbeiter.
1857 errichteten sie eine Dampfmühle mit einem Sägewerk in der Klosterstraße, die heutige Honigfabrik. Außerdem besaß Friedrich Kalköfen und mehrere Steinbrüche mit Anschluss an den Bahnhof durch zwei Feldbahnen. Als die Eisenbahn gebaut wurde, lieferte die Firma Wolff die Bruchsteine für den Unterbau. Am Güterbahnhof besorgte Friedrich Wolff den Rangierbetrieb und den Kohlentransport vom Ibbenbürener Förderstollen, insgesamt hatte er für seine Betriebe einen Fuhrpark von 80 Pferden. Neben der Dampfmühle stand die Hufschmiede und die Schmiede für Eisenteile. Heinrich Wolff leitete den kaufmännischen Teil, während Friedrich die organisatorische Führung hatte. Obwohl sie um die Jahrhundertwende ein Wirtschaftsimperium begründetet hatten, wollten sie ihre bäuerliche Herkunft nicht leugnen, denn sie sprachen nur plattdeutsch.
Der Stein mit der Jahreszahl 1857 ist über der hohen Tür der Honigfabrik an der Klosterstraße noch heute erhalten. Er bezieht sich auf die erste Dampfmühle an dieser Stelle. Firmenchef Friedrich wurde respektvoll als “ König von Ibbenbüren “ bezeichnet. Er war sehr groß und hatte ein Rückenleiden. Ursache war, das sein Vater ihm in jungen Jahren mit einem Holzknüppel in seinem Jähzorn so heftig auf den Rücken geschlagen hatte, das er bleibende Schäden davongetragen hatte. Man nannte man ihn daher auch „De Stiefe“.
Mit prachtvollen Landauern, von Braunen gezogen, fuhren die beiden „Wölffe“ durch die Stadt. Die Werksfahne der Glasfabrik zierte über dem Werkzeug der Glasmacher eine Königskrone. Einmal im Jahr wurde das Hüttenfest gefeiert, dann marschierte der Fahnenträger stolz an der Spitze des Umzugs. Der Wahlspruch auf der Fahne lautete „Fleiß und Geschick bringt Segen und Glück“. In der Dampfmühle wurde nicht nur Getreide gemahlen, sondern auch Korn geröstet. Daraus entstand der Malzkaffee „Muckefuck“, in Anlehnung an das französische „Mocca faux“, also falscher Kaffee.
1888 geschah ein großes Unglück, von dem der Tischler Stockmann bei einem Küerabend dem Heimatverein erzählte. Das Protokoll ist leider nicht mehr aufzufinden, doch Herr Mönninghoff konnte davon noch einiges erzählen. Bei der Getreideröstung brannte die Dampfmühle ab. Friedrich Wolff kaufte oder pachtete darauf die Windmühle Brenninkmeyer-Berensmeyer an der Ledder Str. 13, – heute Rechtsanwalt Scheuer-. Er brachte das angebrannte Röstkorn zur Windmühle, wo es noch tagelang glimmte und stank. Das Mehlgetreide wurde nun in der Windmühle gemahlen. Bald begann der Neuaufbau der Dampfmühle in der Klosterstraße, aber ohne die früher vorhandene Sägemühle. Das Gebäude wurde zu beiden Seiten breiter und wohl ganz neu errichtet, denn im heutigen Gebäude zeigten sich beim Umbau keinerlei Brandspuren. Letztlich ist die Baugeschichte des jetzigen Hauses aber nicht restlos geklärt. Kaum war die neue Dampfmühle fertig, starb 1896 der Unternehmer Friedrich Wolff und der Mühlenbetrieb ging ein Jahr später in Konkurs, ebenso kurze Zeit später die Glasfabrik. Die Steinbrüche erwarb Friedrich Braunschweig.
Anna Alfing war Köchin bei Heinrich und Sophie Wolff. In ihrem Gesindebuch wurde ihr bescheinigt, dass sie ihre Arbeit in jeder Weise zur Zufriedenheit von Frau Wolff verrichtet hatte. Eines Abends kam ihr Verlobter erst gegen 11 Uhr am Abend, um sie in ihrem Zimmer über dem Haupteingang zu besuchen. Er zog an der Stange, die mit der großen Glocke über der Tür verbunden war. Im letzten Moment konnte Anna die Glocke mit der Hand ergreifen, um das Klingeln zu dämpfen. Die vornehme Familie Wolff durfte so spät nicht mehr gestört werden. Er durfte aber auch nicht zu seiner geliebten Anna. Die weiße Villa von Friedrich Wolff an der Münsterstraße war jedoch nicht mehr zu halten, sie wurde an Albert Bergschneider verkauft.
Hermann Gössmann hatte seinerzeit auf dem Oberen Markt im Haus Elfers einen Handel für Mehl, Getreide, Futtermittel und Kunstdünger und im gleichen Haus auf der Rückseite den beliebten Gasthof Bärenstall. Er kaufte 1907 die Dampfmühle, musste aber drei Jahre später den Mühlenbetrieb einstellen, weil die Technik veraltet und eine Renovierung zu kostspielig war. Daher beschränkte er sich auf sein früheres Tätigkeitsfeld, den Handel mit Getreide und Futtermitteln.
Die Schmiede auf dem Gelände der heutigen AOK wurde abgebrochen, nachdem die evangelische Stadtschule -Blaue Ecke- fertig geworden war. Der Sohn von Hermann Gössmann war übrigens Präsident des Deutschen Fußballbundes, wie auf einer Bronzetafel auf dem Oberen Markt zu lesen ist. Mit dem Tod von Heinrich Wolff endete die Ära der Wölfe kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Um die Soldaten mit Nahrungsmitteln zu versorgen, wurden Lebensmittelpakete an die Front geschickt. Zu Beginn des Krieges begann man deshalb mit der Produktion von Kunsthonig in einem Raum des Gebäudes. Er bestand aus Rohr- und Rübenzucker unter Beigabe von Magermilch und Löwenzahn, versehen mit Farb- und Aromastoffen. Über Bezugsscheine wurde auch an die hiesige Bevölkerung Kunsthonig in geringem Maß ausgegeben. Nach den spärlichen Hinweisen aus dieser Zeit schmeckte er nicht besonders gut, die Frauen klagten über die große Hitze während der Arbeit, die Kittelschürzen waren immer ganz verklebt vom Honigkleister. Sie nannten ihren Arbeitsplatz die „Honigbude“. Den Ibbenbürenern war der Name Honigfabrik noch bis etwa 1930 geläufig, für die meisten hieß das Gebäude jedoch Wolff´s Dampfmühle.
Unterlagen in Archiven sind bisher nicht gefunden worden, so das nur vermutet werden kann, das es die Firma Gössmann war, die hier Kunsthonig produzierte. Bis 1955 konnte man noch Kunsthonig kaufen, heute ist das Produkt mit dem Namen „Kunsthonig“ nicht mehr auf dem Markt. Jedoch gibt es das identische Produkt unter dem Handelsnamen „Wibine“ noch heute als Backzutat. Der Name klingt nach „wie die Biene“. 1922 kauft das Finanzamt das Haus des Heinrich Wolff in der Klosterstraße und erweitert ein Jahr später den Altbau von 7 auf 11 Fensterachsen nach links. Die Tür wird in den Neubau verlegt, so wie sie noch heute ist. Die alte Tür und die Freitreppe werden beseitigt.
Schon 1928 kaufte die Edeka die benachbarte alte Dampfmühle und richtete hier ihr Zentrallager für Lebensmittel ein. Vielen ist der Begriff die alte „Edeka“ geläufig. Von der Edeka mietete der Getränkehandel Alfing & Schowe die Kellerräume. Dort standen die Abfüllanlagen für Spirituosen und Wein. Der erste Geschäftsführer der Edeka war Hans Bunsiek, er hatte noch nicht den Vorteil, in diesem Hause eine eigene Wohnung zu haben, wie sein späterer Nachfolger Fritz Trebbe. Für den kleinen Hermann Driemeier und seine Nachbarn von der Blauen Ecke war der Hof der Edeka ihr Spielplatz. Die großen Eisentore hatten viele kleine Scheiben als Oberlicht. Die Kinder machten sich einen Spaß daraus, diese Scheiben einzuwerfen. Dabei wurden sie von Herrn Bunsiek erwischt. Als Vater Driemeier von diesem Treiben seines Sohns erfuhr, bekam der kleine Hermann eine Tracht Prügel.
Inzwischen war das Mühlengebäude für die Lagerung der Lebensmittel zu klein. Daher erfolgte 1934 der eingeschossige Anbau auf der Nordseite mit einer Laderampe an der Zufahrt zum Hof, das Lagerhaus. Im Krieg bekam das Gebäude auf der Seite zur Klosterstraße einen Artillerietreffer. Die Nachbarskinder von der Gartenstraße und der Südstraße zwängten sich durch das kleine Loch in der Wand. Im Lager stopften sie sich die Hosentaschen voll mit Karamell-Bonbons. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs standen bei der Edeka alle Türen offen und die Bevölkerung hatte sich zum Teil mit Zucker, Öl, Mehl, Käse und Margarine eingedeckt. Auch die russischen Fremdarbeiter, die bei Bergschneider in der Gartenstraße arbeiteten und wohnten, holten sich Lebensmittel. Um weitere Plünderungen von Lebensmitteln zu verhindern, wurde das Haus durch Engländer bewacht.
Eine Ibbenbürenerin stellte sich den Bewachern mutig in den Weg und forderte Zutritt, weil sie verzweifelt war und nichts mehr zu essen hatte. Sie ließ sich auch durch Verbot nicht aufhalten und ging ins Gebäude. Ein Engländer schoss daraufhin in die Luft, sie ließ sich aber nicht beeindrucken. Mit ihrer Beute, einem Laib Käse, rannte sie zur Marktstraße nach Hause. Dort angekommen, musste sie enttäuscht feststellen, das sie eine Käselaib-Attrappe erbeutet hatte. 1949 wurden die alten Gebäude auf der Hofseite umgebaut und aufgestockt. Oben entstand die Wohnung des Edeka-Geschäftsführers Fritz Trebbe mit dem Zwischenbalkon, unten waren Garagen u. Lagerräume. Der mächtige quadratische Sandsteinkamin hinter der Mühle, der sich nach oben verjüngte, wurde im Zuge dieser Baumaßnahme abgetragen. Das Lagerhaus auf der Nordseite wurde aufgestockt und mit tragfähigen Stahlbetondecken versehen und erhielt kurz darauf einen kleinen Lastenaufzug. Später übernahm der Makler Bosse die Wohnung von Fritz Trebbe. Die Edeka war gegen Einbruch besonders gesichert. Sollte eine Tür aufgebrochen werden, machte die große Klingel außen am Fenster an der Nordseite einen Höllenlärm und rief die Wach- und Schließgesellschaft herbei.
Ab 1955 hieß es “ In der Luft liegt Kaffeeduft“. Es wurde Kaffee der Marke „IBBONA Hanseaten-Mischung“ bei der Edeka geröstet. Fritz Trebbe bediente die Probat-Rösttrommel persönlich. Bei etwa 250 Grad verströmten die Bohnen ihren aromatischen Geruch.
Nach der Abkühlung wurden die Bohnen in der Verlesemaschine sortiert. Sie hatte einen Tretantrieb und die Frauen, die sie bedienten, nannten sie die Kaffee-Nähmaschine“. Während die Füße das Sortierband mit der Tretplatte antrieben, fielen die Bohnen aus dem Trichter auf das Band, die guten fielen in den Kaffeesack und die „Stinkbohnen“ wurden beidhändig aussortiert. Der Frischdienstwagen belieferte die einzelnen Edeka-Filialen im Kreis Tecklenburg mit Kaffee und anderen Produkten aus dem Lager. Es fehlte dringend ein großer Lastenaufzug in dem 4-geschossigen Altbau, der dann endlich 1959 zentral im Gebäude durch die Firma Max Schumacher eingebaut wurde. 7 Jahre später verließ die Edeka Ibbenbüren.
Noch lange trafen sich die alten „Edekaner“ regelmäßig und erzählen von alten Zeiten. Nach dem Auszug machte Amtmann Bernhardt den Vorschlag, den maroden Altbau an der Klosterstraße abzubrechen. Dazu kam es jedoch nicht. Es fand sich 1966 ein neuer Nutzer, der 11 Jahre dort blieb, die Firma AFA-Möbel Hartwig mit ihrem Möbelmusterlager und immerhin ein Jahr lang produzierte die Firma Gerhardi Kunststoffteile für Autos an der Spritzgussmaschine. Schließlich wurde das Gebäude an die Caritas verkauft, wie auch das Nachbargebäude, das ehemalige Finanzamt. Lange Jahre war die Dampfmühle Wohngebäude für Asylbewerber. Die Dampfmühle Wolff erhielt den Namen „Alte Honigfabrik“, das soll an den Kunsthonig und die Kunst erinnern.